Heft 6/2014 Anziehen
Nachwort.
Das Kleid der Sprache
Der Vergleich mit Kleidung liegt für das Kommunikationsdesign ganz allgemein, aber insbesondere für die Typografie, besonders nahe: »Die Schrift ist das Kleid der Sprache« lautet ein viel verwendetes Zitat von Erik Spikermann. Kleidung und Schrift haben viele Gemeinsamkeiten: Beide steuern, wie ein ›Inhalt‹, ein Text oder eine Person in einem bestimmten Kontext bewertet wird. Sie suggerieren Anlässe oder Situationen, verweisen auf historische Kontexte, sie können bestimmte Eigenschaften betonen, Unvorteilhaftes verstecken, Unscheinbares hervorheben, es ganz verschwinden, auffällig oder selbstverständlich wirken lassen. Eine weitere Gemeinsamkeit zwischen beiden Gestaltungsprozessen liegt in der Verarbeitung von ›Stoffen‹. Vom Begriff ›Textil‹ ist es schon sprachlich nicht weit zu Textur und Text. Modedesign besteht wie die Typografie zu einem großen Teil aus der Suche einer neuen Form für bereits Vorhandenes, Gegebenes, sei es Text oder Textil. Jahrhundertealte Konventionen und Traditionen beeinflussen die Typografie wie die Mode eben so stark wie Technik, Materialien oder Produktionsprozesse. Und zu guter Letzt ist das Maß der Gestaltung der Mensch, beide Disziplinen orientieren sich an physischen Faktoren, Maße wie der typische Leseabstand oder Ärmellängen sind durch den Körper vorgegeben.
Betrachtet man den ›Inhalt‹ beider Gestaltungsdisziplinen als das, was verpackt und vermittelt wird, tritt ein Unterschied zu Tage: Mode kleidet zwar Menschen, ist ihm/ ihr aber Accessoire; es ginge ohne sie. Auch wenn der Verzicht auf Kleidung selbst als Mode betrachtet werden kann und als Statement nicht zuletzt künstlerisch ein häufig verwendetes Motiv darstellt, lässt sich der Mensch, von der Kleidung ›verpackt‹, auch gut ohne denken. Typografie dagegen ist insofern ein ›notwendiges‹ Medium, da sie den Text erst etabliert: ohne Schrift kein Text. Weil es nun aber nur wenige Anlässe gibt, zu denen man auch ohne Kleidung passend gekleidet ist, sei dies als Spitzfindigkeit abgetan und zur Mode zurückgekehrt.
Selbstverständlich ist auch die Typografie Moden unterworfen. Seit der Mitte des 20. Jahrhunderts und um ein vielfaches verstärkt seit dem WWW treten sie als globale Phänomene auf. Die so etablierten Gestaltungsstile oder -ansätze verhandeln das Verhältnis zwischen typografischer Form und textlichem Inhalt, und kommen dabei zu höchst unterschiedlichen Ergebnissen: Die Schweizer Typografie der 1960er Jahre versucht, eine für alle Inhalte passende, leicht zu erfassende, neutrale Form zu finden, um die Interpretation der Inhalte ganz dem/der Leser/in zu überlassen. Insbesondere die Drehkreuze des Reisens, dort, wo viele Kulturen aufeinander treffen, wie in Flughäfen oder Messezentren, werden dabei zu Kondensationspunkten transkulturell verständlicher visueller Kommunikation. Die hier etablierten Gestaltungsansätze streben nach einer Form, die universal und transparent ist. Die Grunge-Typografie der 1990er dagegen setzt auf die zutiefst subjektiven Zugänge der Typografen/innen selbst. Sie verstehen sich als Text-Bild-Autoren/innen, deren Gestaltungsarbeit den Leseprozess so steuert, dass die Nachricht nach mitunter schwierigen Dechiffrierungsprozessen durch ›intensives‹ Lesen erst richtig bewusst wird. Die von Janis Jefferies in »Fashioning the Future« (vgl. S. 134) zitierte zentrale und gleichzeitig ironische These McLuhans »The Medium is the Message« gilt für die Typografie genau dann, wenn sie das Wort, die Nachricht überdeckt, wenn die Schrift die Deutung des Worts dominiert. Die Gestaltung von Querformat liegt zwischen beiden Extremen: Unser Ziel ist, in jeder Ausgabe mit einem veränderten Ansatz weder aufdringlich noch unsichtbar zu sein.
Und so gleicht die typografische Grundfrage, die sich mit jedem Heft neu stellt, dem allmorgendlichen Blick in den Schrank: Was soll ich anziehen, wie kleide ich einen Text; Abendkleid oder Bikini, Jeans oder Seidenhose, Polohemd oder T-Shirt, Karo- oder Camouflagemuster?
Die Herausforderungen dieser Ausgabe waren keine geringen: Es ist wegen der Zweisprachigkeit das umfangreichste Querformat, das bisher erschienen ist. Die englischen Texte sollen den deutschen Teil nicht zu stark doppeln und das Heft zu dick auftragen lassen; dürfen andererseits aber auch nicht stiefmütterlich behandelt als Anhang visuell abfallen. Wir haben uns deswegen für eine aufwändigere Einzelblattbindung entschieden. Sie ermöglichte es uns, die beiden Sprachteile in unterschiedlicher Farbigkeit getrennt voneinander zu drucken und später im Heftablauf in fast freier Folge direkt aufeinander stoßen zu lassen. Der deutsche Teil ist dabei farbig, im englischen wurde auf farbige Abbildungen zugunsten eines Neon-Orange verzichtet. Eine fein gestrichelte, farbige Naht durchzieht das gesamte Heft, nimmt einmal eine Achse aus dem Layout auf, quert ein anderes Mal zwanglos alle Gestaltungselemente und löst sich vom Layout. Der Text fließt durchgängig in zweispaltigem Satz in Querformats lebendiger Quasi-Hausschrift Textra, die Überschriften sind in der Versalienschrift Bebas gesetzt und betonen durch ihre starken Vertikalen das strenge Raster. Als Titelbilder der Artikel dienen Bilder vom Grundstoff der Mode: Textilien aus dem Fundus der Herausgeber/innen und Gestalter, so fotografiert, dass sie für Stoff, Gewebe, einen Ausschnitt stehen können, ohne aber auf ein konkretes Kleidungsstück zu verweisen.
Unser Titelmotiv, Isabella die Schaufensterpuppe, ist ein Fundstück, das unserer Mitarbeiterin Lea Reck auf einem Flohmarkt in Essen direkt in die Arme fiel. Der Zufall ist der beste Gestalter, eine ehemals weiße, später schwarz angestrichene Modepuppe mit Kunstpelzmütze (ohne die sie laut Vorbesitzer friert) und orangem Badeanzug passte ideal zu transkulturellen Moden. Konzeptionell erdacht wären wir nie auf etwas Vergleichbares gekommen oder hätten gewagt, sie so zu inszenieren, als Fundobjekt mussten wir sie vor der Müllabfuhr retten und fotografieren.
Das Gimmick in diesem Querformat-Heft ist ein stoffbezogener Knopf von Stoff-Engel mit aufgedrucktem Querformat Q, Text auf Textil, der Kleidungsstücke zieren, verschließen und zusammenhalten kann. Auch Querformat hofft, mit seinen Leser/innen verbunden zu bleiben und sich noch viele Themen vorknöpfen zu können.
Und so zeigt das Gestaltungs-Experiment Querformat über die Spanne der sechs bisherigen Ausgaben, wie es möglich ist, durch die Veränderung weniger typografischer Parameter für ähnliche Textstrukturen zu einer changierenden Form zu finden, die doch um einen Fixpunkt zu kreisen scheint. Dass sich die verschiedenen Gestaltungsmerkmale wie das schlanke, hohe Format, die Textra als humanistische Grotesk-Schrift oder die farbliche Betonung von innertextlichen Verweiselementen so herausbilden und verstetigen, war Ergebnis des Gestaltungsdialogs zwischen textuellen und visuellen Herausgeber/innen, zwischen Text und Form. Und wir freuen uns, dass sich jetzt, im Nachhinein ein roter Faden durch alle bisherigen Hefte ergibt, der vielleicht gewollt, aber in dieser Form nie geplant war.
Die sechste Ausgabe von Querformat ist die umfangreichste und technisch aufwändigste, die bisher erschienen ist. Sie hätte nicht gelingen können ohne die Hilfe und enge Zusammenarbeit vieler Partner. Genannt seien hier als erste die Studierenden Kai Gau und Sébastien Weniger, die sich in ihrem vierten Fachsemester auf das lange Abenteuer Querformat eingelassen haben genauso wie Christina Joerres, Martin Kutylo und Lea Reck, ohne die wir die umfangreichen Korrekturphasen nicht hätten bewältigen können. Die Gestaltung konnte nur in enger Zusammenarbeit mit der Druckerei Pöge in Leipzig stattfinden, für deren Kooperation und Geduld wir an dieser Stelle danken.
Jörg Petri
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