Heft 6/2013 Anziehen
Editorial.
Anziehen.
Unter dem Stichwort »Anziehen« listet Google als ersten Treffer: »Anziehen Spiele. Kostenlose Online Spiele für Mädchen«. Dort finden sich Barbies und interaktive Comics im Manga-Style. Sogar Ponys können bekleidet und frisiert werden: das Leben eines Mädchens als Ponyhof. Die traditionelle Engführung von Mode und Frauen, das Erziehen von Mädchen zu Konsumentinnen wird auf diese Weise fortgeschrieben. Auch exotische Fantasien werden bedient, wenn in dem Spiel »Afrikanische Prinzessin anziehen« die exotisierte dunkelhäutige Frau als Personifikation Afrikas inmitten einer Herde Elefanten auftritt und in schicke Kleider gehüllt werden kann. Kleidung, Körper und Geografie gehen in diesem Beispiel ganz in der Tradition einer Erdteilallegorie eine Verbindung ein. So kann man unter »Kultur-Anziehspiele« auch »asiatische Schönheiten« oder die »Models der Welt« aus Brasilien, Dubai, Großbritannien oder Russland einkleiden.
Während diese virtuellen Anziehpuppen, Nachfahrinnen der Puppen aus Karton, vor allem eine eurozentrische Perspektive bedienen, aus der das Fremde wie selbstverständlich als ›exotisch‹ wahrgenommen wird, wendet der Künstler Iké Udé in seinen Selbstinszenierungen diese Blickweisen ins Ironische. Seine Fotoserie Sartorial Anarchy unterläuft festgefügte Schemata vermeintlich homogener Kleidung, indem er Elemente aus sehr disparaten räumlichen und zeitlichen Kontexten miteinander kombiniert – vom Pfadfinderhemd über die gelb-grünen Fußballstrümpfe bis hin zum Umhang mit floralen Mustern. Die Kombinationen sind in jedem Sinne anarchisch: Udé hebt hervor, wie beliebig, subjektiv, fließend kulturelle Konstruktionen sind.
Das damit verbundene Irritieren, Überschreiten oder gar Auflösen kultureller Grenzen kann mit dem Stichwort ›Globalisierung‹ in Verbindung gebracht werden: Die Globalisierung trägt dazu bei, Mode als transkulturell und hybrid zu betrachten. Die Modezeichen flottieren, sie lassen sich nicht auf bestimmte Kontexte einschränken, sondern werden zusammengeführt und gehen neue Verbindungen ein. Diese transkulturelle Vermischung geschieht nicht nur auf der Ebene der Mode-Präsentationen, sondern auch bei der Herstellung. Der Künstler Dirk Fleischmann macht diese Zusammenhänge in seinem 2007 begonnenen Projekt myfashionindustries durch seine konzeptuellen Shirt-Kollektionen deutlich. Die Kollektion made in north korea etwa, die aus schlichten schwarzen und weißen Hemden mit V-Ausschnitt und kleinen ungewöhnlichen Details besteht, wie einer sternförmigen Aussparung unter den Achseln, wird in der Industrieregion Kaesŏng, einer Sonderwirtschaftszone in Nordkorea, gefertigt. In dem zollfreien Gebiet arbeiten vor allem nordkoreanische Arbeitskräfte für südkoreanische Firmen. Die Hemden werden mit einem Künstlerbuch geliefert, das auch mit mehr als tausend Zeitungsartikeln über die Industrieregion Kaesŏng informiert. Fleischmanns Projekt setzt auf diese Weise den Herstellungsprozess mit globalen Handelsmustern in Verbindung: »myfashionindustries triggers issues of commodity fetishism by redefining the oft-obscured relationship between labour and commodity.«
Solche Spannungsfelder zwischen globalisierter Mode und Transkulturalität stehen im Zentrum des neuen Querformat-Heftes. »Anziehen« denkt Körper, Kleidung und Raum zusammen, so dass politische, wirtschaftliche und technische Dimensionen von Kolonisierungs- und Globalisierungsprozessen in den Blick rücken. Die Themen dieses Heftes reichen von Streetwear in Afrika über (Selbst-)Ethnisierungen von Designern, Mode als Reise und Sehnsuchtsort bis hin zu Hightech-Fashion.
Grundlegend für das Thema ist das an James Clifford orientierte Konzept des ›Traveling Fashion‹ zur Analyse von Mode bzw. Styles als zirkulierendes Zeichensystem (Alexandra Karentzos). Wie werden Stile angeeignet und umgedeutet? Werden die weltweit zu findenden Bekleidungsweisen lediglich als Tool verstanden, sich verschiedener Stile nach Belieben zu bedienen, um auf dem Markt die Nase vorn zu haben, erinnert dieses Konzept sehr stark an Diskussionen, die in den 1990er Jahren im Bereich der Kunst geführt wurden. Thomas McEvilley sprach in seiner Ausstellung Fusion auf der Venedig Biennale 1993 vom Modell des »pastiche«. Er definierte den Künstler als Nomaden, der durch die Welt streift und Symbole und Zeichen zu hybriden Formen mischt. Kritisiert wurde dieses Modell seinerzeit, weil es politische und kulturelle Hierarchien übersehe und unausgesprochen westliche Normen und Werte verherrliche. So würden die Polaritäten von alter Folklore und Moderne nicht wirklich aufgelöst. Während solche starren Gegenüberstellungen ästhetische Muster und Wertungen des Kolonialismus übernehmen, versuchen Modelle, die auf kreativen Austausch durch zirkulierende Modestyles setzen, eine Alternative zu bieten (Elke aus dem Moore).
Moden sprechen über die ihnen zugeschriebenen Zeichen, deswegen machen Kleider nicht nur Leute, sondern auch Propaganda, Politik und Rebellion. Sie zelebrieren ihre Botschaften auf den Catwalks, Fotos, Plakaten und in Filmen, tragen ihre Bedeutungen durch das tägliche Anziehen in den Alltag und können gerade hier durch kleine performative Abänderungen zu neuen Aussagen führen (Alicia Kühl, Kerstin Pinther, Birgit Haehnel). Streetstyle und globale urbane Styles markieren dabei Alltagspraktiken einer mobilen Gesellschaft (Antje Krause-Wahl). Oft werden aber auch tradierte Stile des Exotismus, Primitivismus oder der Folklore geschickt verwendet, um die Aufmerksamkeit zu steigern, wie etwa durch die (Selbst-)Orientalisierung von Designern (Burcu Dogramaci) oder die Konstruktion von nationalen Moden (Patrik Steorn, Simona Segre-Reinach). Der Stoff, aus dem die Mode ist, gerät in diesem Heft in Bewegung (Nina Trauth).
Birgit Haehnel, Alexandra Karentzos, Nina Trauth
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