Heft 3/2010 Weichspüler: Wellness in Kunst und Konsum

 

editorial

 

Editorial.

Weichspüler


Wellness ist tief eingesickert in den Alltag der Wohlstandsgesellschaften und beschränkt sich längst nicht mehr auf Verwöhnangebote für Eliten. Wem das nötige Kleingeld für entspannende »Heublumenwickel« oder »Bergkräuterbäder« in einer Schweizer Luxustherme oder für eine Ayurveda-Kur auf Sri Lanka fehlt, für den gibt es erschwinglichere Lösungen. Nicht nur »Saunalandschaften« und »Erlebnisbäder«, auch emotionalisierte Produktwelten im LowBudget-Bereich kümmern sich um uns: Harmonietoast und Entspannungstee bringen die notwendige »Balance«, Aloe Vera findet sich nicht mehr nur in der Kosmetik, sondern auch im Yoghurt, der »unsere Sinne verwöhnt«, Marlboro verkauft selbst das Rauchen als entspannende Pilates-Übung. Da »Emotional Design« und Marketing mittlerweile mit Konzepten der Neurowissenschaft arbeiten, scheint es kein Entrinnen für die Konsumenten und Konsumentinnen aus den Weichspülwelten zu geben. Doch womöglich handelt es sich bei der Wellness um neue »fiktionale Welten« (Wolfgang Ullrich), denen man mit einseitiger Konsumkritik nicht gerecht wird?
Wo die Wellnessfiktionen beginnen, enden eindeutige Grenzen. Alles ist im Fluss. Das inflationär gebrauchte Etikett Wellness prangt heute selbst auf konventionellen Socken und ist so wenig greifbar wie die Vielzahl der Wellnesspraktiken, die vom aktiven »Business Yoga« über hydrotherapeutische »Anti-Stress-Kuren« bis hin zum Zergehen und Zerfließen im »Hot Tub« reichen. Wellness ist deshalb ein Joker der Ganzheitlichkeit. Ihr liegt der holistische Versuch zugrunde, Körper, Geist, Seele und Umwelt in Einklang zu bringen, um allen nur erdenklichen Leiden und Mängeln präventiv zu begegnen.
Mit diesem Ansinnen schließt sie an die historische Reformbewegung an, aus deren amerikanischer Variante der Wellness-Begriff stammt. Eine wichtige Rolle spielt darin etwa der Arzt John Harvey Kellogg, dessen Bruder die bekannte Flockenfabrik zu einem Imperium ausbaute und der ein Anhänger der Siebenten-Tags-Adventisten war. Bis heute sieht die Freikirche – in Anlehnung an 1 Korinther 6: 19–20 – den menschlichen Leib als »Tempel des Heiligen Geistes«, für den man durch ausreichende körperliche Bewegung und Ruhe, gesunde Ernährung und den Verzicht auf Drogen Sorge zu tragen hat.
Folgerichtig lernten Kelloggs Patienten im Battle Creek Sanitarium der Freikirche bereits 1876 Diät zu halten, viel zu trinken, vegetarisch und abstinent zu leben und sich viel an frischer Luft zu bewegen. Kellogg nannte das noch nicht Wellness, sondern Biologic Living. Den Begriff Wellness popularisierte und säkularisierte erst Halbert Louis Dunn mit seinem Buch high Level Wellness. Bereits vor einem halben Jahrhundert sprach er aus, was in Industriegesellschaften erst langsam ins Bewusstsein dringt: »The great challenge at the older ages is how to keep a person fit until he dies [...].« Wellness soll als ein Konzept dienen, das Altern in westlichen Gesellschaften nicht nur erträglicher, sondern vor allem kostengünstiger zu gestalten. Der Deutsche Wellnessverband sieht dies ähnlich und definiert Wellness als eine Form »genussvoll gesund [zu] leben« und somit als eine »aktive Gesundheitsstrategie, die den Einzelnen unterstützt, sein Leben durch wissenschaftlich gesicherte Maßnahmen gesund und produktiv zu gestalten und damit ein zufriedenes, von chronischen Krankheiten weitgehend freies Leben zu führen«. Die Kommerzialisierung der Wellness lehnt der Verband ab – erfolglos. Bemerkenswert offen sagt Marc Schwieger, Geschäftsführer der Werbeagentur Scholz & Friends, Wellness sei »alter Wein in neuen Schläuchen. Aber manchmal schmeckt der Wein dann besser«. Verschleiert wird dabei, dass Wellness vor allem eine Konsequenz des ökonomischen und sozialen Wandels in den fortgeschrittenen Konsumkulturen ist. Zu einem gelingenden Leben im postfordistischen Zeitalter soll heute mehr gehören als Leistung. Nur wer es fertig bringt, zumindest zeitweise im »Floating Tank«, in der »Yoga Oase« oder bei der »Lomi Lomi Nui Massage« dem Hamsterrad der Wertsteigerungsspiralen zu entfliehen, demonstriert wahre Souveränität über Körper und Geist. Durch Teilhabe an der Wellnesskultur erklären wir uns zum Konsumadel und signalisieren, dass wir den Begriff »Psychosomatik« ernst nehmen; dass wir uns nicht auf den Typus des homo oeconomicus reduzieren lassen, den die Fitnessund Bodybuilding-Bewegung mit ihren verschwitzten, verspannten und verbissenen Stallones oder Schwarzeneggers prägte.
Grund genug also, die neuen Ströme des Wohlgefühls in der dritten Ausgabe von Querformat zusammenzuführen: Wellnessräume, -praktiken und -produkte stehen in den künstlerischen und wissenschaftlichen Beiträgen im Zentrum. Unsere Autorinnen und Autoren analysieren die Ästhetik der Wellness in Kunst, Musik, Design, Ökonomie und Tourismus, begeben sich auf die Suche nach historischen Vorläufern der Wellness und fragen danach, welche Körperund Geschlechtervorstellungen hinter dem »postsexuellen Symptom Wellness« (Elisabeth Mix & Patrick Vogl) stecken. Machen uns Leistungsund Konkurrenzdruck derart zu Mängelwesen, dass wir uns durch soßige Wellness-Musik seelische Streicheleinheiten erkaufen müssen (Matthias Henke)? Ist Wellness Teil des »emotionalen Kapitalismus« (Matten Shachak& Eva Illouz), der Psychologie und Ökonomie miteinander verknüpft? Wird in den Lehrplänen von Wellness-Akademien die Sehnsucht nach dem »goldenen Zeitalter« durch die Verheißung einer »goldenen Auszeit« ersetzt (Jörg Scheller)? Welche Funktion hat Wellness in strukturschwachen Gebieten (Anna Daßler)? Dienen Wellnessprodukte auch als Sammelbecken und Multiplikator exotistischer Projektionen (Alma-Elisa Kittner)? Und kann Wellness-Kunst tatsächlich ein wenig »Balance« in den Psychohaushalt der Gegenwart bringen (Linda Gerner)? Eines ist klar: Die Wellness ist weiblich. Ihr grammatikalisches Geschlecht verdankt sie dem Sprachgebrauch, der ihre weibliche Konnotation damit zum Ausdruck bringt. Darüber hinaus gehört die Wellness zum gesellschaftlich legitimierten Programm der Optimierung von Körper und Psyche und normiert zugleich die Geschlechter. Auf Männershampoos prangt ein markiges »Feel strong!«, während die offensichtlich besonders bedürftigen Frauen vor lauter Mandelmilchmetamorphosen bis zur Unkenntlichkeit weichgespült werden. Eindeutig männlich oder weiblich codiert sind auch historische »Wohlfühlarchitekturen« wie etwa das haus der Freuden des Revolutionsarchitekten Claude-Nicolas Ledoux, das auf seinen Zweck durch seinen phallischen Grundriss hinweist (Kai Völker). Im Anschluss daran zeigt Shantala Fels, wie heutige Freudenhäuser die Sinne stimulieren und kontrollieren, allerdings im Interieur.
Andererseits entstehen in der Wellness-Ikonographie neuartige Hybridwesen, denen etwa Susanne Wurlitzer in ihrer Bildstrecke ein Gesicht (mit Gurkenscheiben) gibt. Zumindest vordergründig können sie keinen sexuellen Stereotypen zugerechnet werden: Ist der gecremte und enthaarte Wellness-Mann ein Zeichen für eine Auflösung von Geschlechter-Grenzen? Oder ist gerade er der ultimative Chauvinist, der sich durch die Aneignung weiblicher Klischees im »Sandelholz-Schaumbad« der Liebsten unverwundbar suhlt?
Jenseits von Genderfragen reiht sich Wellness ein in die lange Reihe der Entlastungsversprechungen der westlichen Moderne, die immer auch eine Ära der enttäuschten Entlastungshoffnungen war. Als das alte Adelsprivileg der Freizeit erstmals breiten Bevölkerungsschichten zuteil wurde, entstand zugleich der Freizeitstress. Seitdem schwanken wir zwischen totaler Entspannung und totaler Anspannung, zwischen Fitnesscenter und Fernsehsessel, zwischen Machbarkeitsglauben und Massagesalon. Wenn die Moderne überdies diejenige Ära ist, die den Tod aus dem Alltag verbannt und seine Sichtbarkeit auf Kino und Computerspiele konzentriert, so verwundert es nicht, dass Wellness-Räume und Todeszellen mitunter frappante Ähnlichkeiten aufweisen, wie es in der Bildstrecke der Fotografin Lucinda Devlin sichtbar wird (Ganna Ordinartseva).
Die Wellness-Industrie reagiert auf diesen labilen Zustand, indem sie die Koexistenz des vermeintlich Unvereinbaren propagiert. In der Wellnesswelt soll es gewissermaßen möglich sein, am Morgen einen Hedgefonds aufzulegen, einen Staudamm zu bauen, zwei Blockbuster zu drehen und sich am Abend in ein sanftes, nachgerade willenloses Wesen zu verwandeln, das seine müden Augen an der »Botticelli-Beauty-Ausstellung« labt (Torsten Kohlbrei), anschließend seinen Managerschweiß in der Bio-Sauna versickern lässt oder in seiner privaten Nasszelle neue Kräfte tankt (Sophia Muckle).
Dass die heimliche oder offene Sehnsucht nach Entlastung und ein wenig Esoterik von Industrie und Marketing hemmungslos ausgeschlachtet wird, verwundert nicht. Als ganzheitliches Lebensstilkonzept muss sich Wellness schließlich gegen zahlreiche andere sinnstiftende Produkte und Dienstleistungen behaupten. Die große Sinnstifterin Natur wird daher bevorzugt ins Boot geholt, was insbesondere die Bildstrecken dieses Heftes untersuchen. Welche hybriden Räume dabei entstehen können, zeigen etwa die Fotografien heimischer Badelandschaften von Anke Erdmann. Sie versuchen sich dem Wellness-Trend zwar anzupassen, bieten dabei jedoch seltsame Mischungen aus Hallenbadkultur, Urlaubsoase und Raststättenflair an. Silke Helmerdigs Fotografien eines israelischen Spas am Toten Meer untergraben nicht minder das Bild einer paradiesischen Wellnessoase: hier eine gekappte Palme, dort ein Flutlichtstrahler, der auf die militärische Überwachung des Areals verweist, hinten der unvermeidliche weiße Monobloc Plastikstuhl – die Utopie der Wellness möchte entsetzlich gerne harmlos und natürlich unpolitisch sein. So richtig klappt das jedoch nicht. Selbst Susan Andersons Wohlfühllandschaft, die wir auch für das Cover gewählt haben, kippt durch ihren gelbstichigen Ton und die durchblutungsgestörte Bläue ins Unheimliche.


Alma-Elisa Kittner und Jörg Scheller