Heft 2/2009 Die Zigarette – danach

 

 

Nachwort.
Nach der Zigarette – danach


Im Gegensatz zur gängigen Praxis der Wiedererkennbarkeit erfindet sich die Zeitschrift visuell mit jedem Thema neu. – So sagten wir es programmatisch in der ersten Ausgabe unserer Zeitschrift, und: Was man versprochen hat, das muss man auch halten! heisst es im Märchen vom Froschkönig – mit dem gekrönten Frosch als Maskottchen auf dem ersten Titel sind wir damit doppelt in der Pflicht. Und man sieht auf den ersten Blick: Das zweite Heft von Querformat ist nicht rosa. Gleichwohl gibt es in der Gestaltung von Querformat Konstanten; wir wollen für jede Ausgabe nicht die Welt neu erfinden, wir wollen sie nur von einer anderen Seite zeigen. Einiges bleibt somit beim Alten: der Querformat-Schriftzug, das Format der Zeitschrift, die beiden Grundschriften Swift und Textra, die Paginierung. Alles andere kann, darf, muss, soll sich ändern. Materialität und Druck sind der Punkt, an dem sich der Unterschied zwischen elektronischen und gedruckten Magazinen kristallisiert, sie fallen zuerst auf, da sie nicht nur mit den Augen, sondern auch mit den Händen wahrgenommen werden: aschgraue Pappe als Einband, der Titel im Laserstanzungsverfahren ausgebrannt. Wir haben Wert darauf gelegt, dass das plötzliche Verbrennen der Pappe deutliche Schmauchspuren auf der Titelseite hinterlässt. Der sonst zu vermeidende Fehler, das Unperfekte als realistische ›Illustration‹; das Material selbst wird zum Bild. Die ausgestanzten Buchstaben sind weiß und ockerfarben hinterlegt, was das Motiv verstärkt; das Aufblättern des Heftes gibt den Blick frei auf die Extremvergrößerung von Zigarettenfiltern, eine Nahsicht auf die Nahtstelle zwischen Tabak und Filter, die mit bloßem Auge sonst nicht möglich ist. Weiß und Ocker ziehen sich leitmotivisch durch das ganze Heft, dabei sind die ›Filter‹-Seiten die kürzeren. Auf ihnen finden sich kleinere Fund- und Versatzstücke, die im Laufe der redaktionellen Arbeit am Heft auftauchten. Sie sollten ins Heft aufgenommen werden, sich dabei aber deutlich von den Langtexten oder Bildbeiträgen abheben. Jetzt schweben sie als Rauchzeichen zwischen den Texten und quer dazu, sie sind erkennbare Einschübe, die den Lesefluss erhalten, denn sie geben den Blick auf die Folgeseiten frei. In den Rauchzeichen zeigt sich besonders deutlich, wie stark inhaltliche und gestalterische Entscheidungen miteinander verzahnt sind. Blau tritt als dritte Farbe hinzu, aber dunkler als ein ›Dunst‹, eher eine ›Coolness‹: kräftig, gedeckt, großflächig. Die insgesamt kühle Textgestaltung wird durch die Auszeichnungsschrift »Tallfilms« und deren geometrische Konstruktion verstärkt. Ihre langgezogenen Vertikalen und mageren Grundstriche lassen die Überschriften streng und in der Überschneidung dennoch leicht wirken. Sie bilden fragile, drahtige Formationen. Ihre grafische Anordnung verweist auf die formalen wie sprachlichen, konnotativen und denotativen Kodierungsmöglichkeiten von Schrift. Wie weit hier gegangen werden kann, mussten wir im Entwurfsprozess austesten: Kann eine abstraktere Lösung mit in sich verschränkter Schrift überzeugen oder kommt es auf das lesbare Wort an? Auch hier galt und gilt es, die fragilen Gleichgewichte zwischen formaler und textlicher Innovation auszuloten. Das führt zu einer Grundfrage der Typografie überhaupt: Wie weit kann bildliches Denken typografische Gestaltung beeinflussen? Den locker aufeinander gestapelten Textblöcken lag ursprünglich die Bildidee aufsteigender, sich windender Rauchschwaden zugrunde. Aber so direkt illustrativ funktioniert Typografie nicht. Entstanden ist daraus eine Textanordnung, welche die unterschiedliche Struktur der Textbeiträge, also auch die verschiedenen Schreibstile der Autor/innen, sichtbar macht. Para- und Peritexte, wie Fußnoten, Bildunterschriften und Zwischenüber­schriften, begleiten die gegeneinander verschobenen Absätze. Am Gesamtbild einer Textseite, der Flächensyntax, können die Leser/innen den Grad der Segmentierung, die Hierarchie der Zwischenüberschriften, das Verhältnis von Fußnoten zum Text oder die Länge der Absätze ablesen. Das typografische Bild vermittelt zusätzliche Botschaften jenseits des Textinhalts, nicht nur der Text spricht durch die Typografie, sondern auch die Typografie über den Text. Und die Bilder selbst? Sie bewegen sich auf zwei Ebenen: zum einen als Bebilderung der Texte, sie zeigen, wovon die Rede ist; zum anderen als eigenständige Aussagen. Da sind die fast kalligrafisch wirkenden Rauchbilder von Anja Braun, die immer wieder zwischen den Texten aufsteigen und sich mit der fast abstrakt anmutenden Fotografie von Nadine Decker zu verbinden scheinen. Da sind die verstörenden Zeichnungen von Jenny Kalliokulju. Und da sind schließlich die eher dokumentarischen Fotografien von Silke Helmerdig, die die witzigen, ironischen, seltsamen, fast bizarren Situationen der Wasserpfeifenkultur aufspüren. Bildhafte Rauchzeichen von Gesine Hildebrandt, Maike Bisping und Anna Bonnke sowie Akzidenzien wie Einladungskarten und Werbung setzen Akzente; Gedichte erzeugen Bilder im Kopf. Zusätzlich bietet die jedem Heft beigelegte fotografische Edition von Swetlana Heger eine Rauchabstraktion. Wir danken allen Bild-Autor/innen sehr herzlich, vor allem danken wir Anna Bonnke und Maja von Heymann, die die Gestaltung dieses Heftes übernommen haben, für ihre ebenso kreative wie engagierte Arbeit. Und so wollen wir Sie, liebe Leser/innen, dazu einladen, zurück zu blättern, Bilder zu lesen und Texte zu betrachten.

Jörg Petri und Ulrike Stoltz