Heft 7/2014 Altern

 

editorial

 

Editorial.

Altern.


›Das‹ Alter gibt es nicht. Stellt man die beliebte Frage, ab wann man alt ist, verweist die Vielzahl an Antworten auf den relationalen Charakter des Begriffs: Für den bettlägerigen Greis zeichnet sich der rüstige Rentner in seinen Sechzigern durch Jugendlichkeit aus, dem Schulkind jedoch erscheint die Tante in ihren Dreißigern unglaublich alt. In wissenschaftlichen Debatten wird age (ebenso wie die Kategorien gender oder race) zunehmend als Produkt von Diskursen begriffen und untersucht. Das bedeutet jedoch keineswegs, die individuelle Erfahrung und gesellschaftliche Realität des Alter(n)s zu leugnen. Ganz im Gegenteil gerät so in den Blick, wie Alter kontextspezifisch sprachlich oder visuell erzeugt wird und welche Akteure und Medien in welcher historischen Situation daran beteiligt sind.

Die Zusammenhänge von Alter, Bildern und Medien interessieren uns für diese Ausgabe von Querformat. Sie trägt den Titel Altern, um den prozessualen Charakter des Phä- nomens zu betonen: Alter ist ein genuin mit Zeitlichkeit verknüpftes Konzept. Die Beiträge dieses Heftes setzen sich überdies explizit mit Bildern des Alter(n)s auseinander, wobei neben der medialen (Re-)Präsentation auch die Bindung des Alter(n)s an den Körper in den Blick gerät, der somit als Geschlechtskörper ebenso wie als sozial und ethnisch codierter Körper hervortritt.

Mit dieser Schwerpunktsetzung steht das Querformat-Themenheft Altern ›quer‹ zum gerontologischen Diskurs: In der Gerontologie dient der Altersbildbegriff bisher kaum zur Bezeichnung materieller Bildwerke (wie Gemälde, Skulpturen, Fotos oder Filme), die das Alter, das Altern oder den alten Menschen als Motiv haben, sondern zur Bezeichnung der Vorstellungen vom Alter, vom Altern und von alten Menschen. Diese Vorstellungen werden als immaterielle Bilder angesehen. Aus kulturwissenschaftlicher Perspektive erscheint ein solches Begriffsverständnis problematisch, impliziert es doch, dass die materielle und mediale Verfasstheit der jeweiligen ›Vorstellungen‹ vom Alter(n) ausgeblendet oder zumindest nicht hinreichend thematisiert und problematisiert wird – das gilt übrigens auch für die Materialität und Medialität der Daten, die in der sozio- und psychogerontologischen Altersbildforschung erhoben und analysiert werden. ›Vorstellungen‹ an sich können schließlich nicht erforscht werden, sondern nur die Zeichen, in denen sie sich manifestieren. Dabei bestimmt jedoch die Verfasstheit der Zeichen das mit ihnen Bezeichnete maßgeblich mit. Deshalb fragen die Beiträge dieser Querformat-Ausgabe nach den Verknüpfungen der Dimensionen Alter(n), Bilder und Medien.

Exemplarisch zeigen sich diese an einem historisch weit zurückliegenden Altersbild, das im 17. Jahrhundert ebenso populär war wie im Internet-Universum des 21. Jahrhunderts (Abb. 1). Bernardo Strozzis in den 1630erJahren entstandenes Gemälde einer alten Frau ist damals von seiner Werkstatt in mehreren Kopien und Varianten für interessierte Sammler reproduziert worden. Heute kann man das Bild online als Kunstkopie zur Dekoration der eigenen vier Wände erwerben – vom Leinwanddruck ab 127 Euro bis hin zum in China handgemalten Ölbild für 298 Euro. Woher rührt diese überzeitliche Popularität? Das als Vanitas-Allegorie, Eitelkeit oder Old Coquette betitelte Bild zeigt eine Frau vor einem Spiegel sitzend, die sich mit Hilfe zweier Dienerinnen herausputzt. Teure Stoffe, aufwendige Draperien, reichhaltiger Perlenschmuck und auffällige Accessoires, wie Federn und Fächer, zeugen ebenso wie die Kosmetika und Parfum enthaltenden Flakons von einem mit Reichtum und Luxus verknüpften Schönheitshandeln.

Doch das Bild von der schönen, reichen Frau bei der Toilette wird von einer Bruchstelle durchzogen, denn es ist ein von zahlreichen Alterskennzeichen überzogener Körper, an dem diese Praktiken der Mode und Kosmetik ins Leere zu laufen scheinen. An zahlreichen Details im Bild wird herausgestellt, dass Schönheit an Jugend geknüpft sei; die Idee eines ›schönen Alters‹ hingegen wird diskreditiert. So lassen die üppigen und rosigen Körper der Zofen im Hintergrund den Teint ihrer greisen Herrin noch gelblicher erscheinen, deren Haut noch schlaffer und faltiger, die Haare noch grauer und dünner. Die weißen gesunden Zähne der beiden Frauen stehen im Gegensatz zu den von Zahnlosigkeit zeugenden, eingefallenen Wangen, auf denen selbst das Wangenrot als Fake gegenüber dem zarten Rosé der jugendlichen Wangen malerisch herausgearbeitet ist. Im Kontrast zum knochig ausgezehrten Körper der alten Frau stehen ihre hochgeschnürten, aus dem Dekolleté hervorquellenden Brüste. Die Alte wird auf diese Weise zwar als sexuelles Wesen inszeniert, aber zugleich verspottet. Denn anders als die frischen Blumen in ihren Händen erscheint ihr Körper als längst verblüht und unfruchtbar. Allein auf visueller Ebene berührt der vor dem Spiegel aufragende Flakon imaginär die entblößte Brustwarze der Alten in ihrem Spiegelbild. Damit wird eine reale sexuelle Stimulation des Greisinnenkörpers als utopisch herausgestellt. Die Bildsymbolik greift den Topos der lüsternen Alten auf, mit dem seit der Antike die alte Frau als ein hässliches Wesen ausgegeben wurde.

Ob der ernste Blick der Alten in den Spiegel lediglich Konzentration verrät oder auch einen Moment der Selbsterkenntnis in Hinblick auf die eigene Vergänglichkeit markiert, bleibt offen. Die hämisch lachenden Gesichter der Zofen jedenfalls stehen stellvertretend für jene Erheiterung, die auch die Betrachter erfassen soll. Der Erfolg von Strozzis Gemälde beruht auch auf den vielschichtigen Rezeptionsmöglichkeiten des Bildes: Von den historischen Zeitgenossen konnte es ebenso als derber Spott über das Alter verstanden werden wie als Vanitas-Allegorie oder als Leitfaden für moralisches Handeln: Schönheit ebenso wie Wollust und Eitelkeit gelten als Privilegien der Jugend.

Auch wenn für Rezipienten des 21. Jahrhunderts der traditionelle Altersspott einer Political Correctness zum Opfer gefallen ist, scheinen die Normen eines altersgemä- ßen Erscheinungsbildes dennoch selbstverständlich zu sein: Unter dem Stichwort »Mutton dressed as lamb« (als Lamm gekleidetes älteres Schaf) stößt man im Internet auf Bilder angeblich nicht altersangemessener Styles von Celebrities: Donatella Versaces, Pamela Andersons oder Sarah Jessica Parkers betont jugendliche Outf ts sollen hier der Erheiterung dienen wie auch der Mahnung zum altersangemessenen Umgang mit dem eigenen Körper. Strozzis Gemälde gibt uns eine Ahnung davon, über welche historische Dimension dabei die Verknüpfung von Alter, Hässlichkeit und dem weiblichen Körper verfügt.

Bernardo Strozzis Bild ist also weit mehr als eine barocke Vanitas-Darstellung. Es gibt uns das Schönheitshandeln der alten Frau explizit zu sehen und führt so vor Augen, wie diese ein Bild von sich selbst erschafft. Der Spiegel fungiert dabei nicht nur als Symbol der Eitelkeit, sondern auch als Kontrollinstanz und Medium der Reflexion. Mit dem Spiegel und dem Gemälde haben wir es gleich mit zwei Medien zu tun, die das Alter(n) ins Bild bringen, und vielleicht ist mit dem Körper ja bereits ein weiteres, vorgängiges Medium im Spiel, ohne das menschliches Alter(n) schlichtweg nicht vorstellbar wäre.

Heute sind die Medien, in denen sich Altern manifestieren kann, besonders vielfältig geworden: Gerade diejenigen Medien, die Zeit formieren, wie etwa Literatur, Musik, Film und Video, bieten jeweils eigene Bedingungen für die Wahrnehmung des Alterns. Die Beiträge des siebten QuerformatHeftes bieten einen Einblick in die mediale Produktion von Altersbildern. Über Gemälde hinaus werden Film, Fotograf e, Comic, Literatur, Fernsehen, Zeitung und nicht zuletzt das Internet in den Blick genommen. Zudem lassen insbesondere auch die künstlerischen Beiträge zum Heft die Vielfalt und Widersprüchlichkeit heutiger Altersbilder erkennen, die nicht nur das Werbeklischee des aktiven und heiteren Seniors beschwören, sondern auch ernste und negativ konnotierte Aspekte wie spezif sche Alterseinschränkungen und -krankheiten thematisieren.

In der Kunst liegt nicht zuletzt ein Potenzial zur kritischen Auseinandersetzung mit der Gerontologie. Ein Beispiel dafür ist Tina Schwichtenbergs Buchobjekt Enzyklopädie der Gerontologie von 2008. Der in zahllose Streifen zerschnittene Buchblock mit seinen chaotisch zwischen den Buchdeckeln herausragenden Papierschnipseln lässt nicht nur die Vergesslichkeit des Alters, also demenzielle Erkrankungen assoziieren, auch die Gerontologie selbst erscheint hier buchstäblich zerfleddert, ja materiell aufgelöst. Auf solche Weise kann die Kunst den Blick der Gerontologie erwidern und zurückwerfen. Während Altersbilder der Literatur und Kunst im gerontologischen Diskurs bisher üblicherweise mit dem Ziel einer Bestätigung gerontologischer Positionen angeführt werden, eröffnen kulturwissenschaftliche Alternsstudien hingegen Einsichten in die künstlerischen Strategien der Aff rmation, aber zunehmend auch der Subversion von restriktiven Normierungen des Alters und des Alterns.

Vielstimmig ist das Querformat-Heft nicht allein dadurch, dass es verschiedene künstlerische, gestalterische, kunst- und kulturwissenschaftliche Positionen zusammenbringt. Zur Vielstimmigkeit hat besonders beigetragen, dass es in einem intergenerationellen Dialog zustande gekommen ist: Auf der Junior-Seite waren Doktorandinnen und Doktoranden der Forschungsinitiative »Alter(n) als kulturelle Konzeption und Praxis« der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf beteiligt sowie DesignStudierende der Hochschule Rhein-Waal. Diese Gruppen tauschten sich nicht nur mit Altersforscherinnen und -forschern der oft unmarkiert bleibenden ›mittleren‹ Lebensjahre aus, sondern auch mit Senior-Studentinnen und -Studenten der Universität zu Köln. Wechselseitig gab man sich Rückmeldungen und Anregungen zu den Beiträgen, Bildstrecken und der gestalterischen Visualisierung des Themas; intensive Diskussionen kamen in Gang. Unterstützt wurde dieser inspirierende Austausch an erster Stelle durch Mittel aus dem Förderfonds »Kultur & Alter« des Landes Nordrhein-Westfalen. Für alle wissenschaftlichen, künstlerischen, gestalterischen und f nanziellen Beiträge danken wir herzlich. Den Leserinnen und Lesern wünschen wir, dass ihnen das Altern während der Lektüre Freude macht!

Sabine Kampmann, Miriam Haller, Thomas Küpper